Portraitfotografie und Tanzen: Was hat das gemeinsam?

Fotoshooting Portrait Portraitfotografie Cornelius Pfannkuch

Fotoshooting ist nicht gleich Fotoshooting

Neulich war ich abends bei einer Freundin eingeladen, wir wollten zusammen kochen. Ich war für die Salatsauce zuständig, doch beim Abschmecken fiel mir auf, dass meine Vinaigrette irgendwie anders schmeckte als ich erwartet hatte, obwohl ich die gleichen Zutaten verwendet hatte, die ich auch zu Hause benutze. Aber natürlich hatte die Freundin nicht die gleiche Marke Olivenöl wie ich in ihrer Küche, nicht den gleichen Essig und auch nicht den gleichen Senf. Tatsächlich habe ich schon öfter die Erfahrung gemacht, dass es undankbar und mit einem gewissen Risiko verbunden ist, Salatsauce in fremden Küchen zuzubereiten. Kleinigkeiten können einen entscheidenden Geschmacksunterschied machen. Das Gesamtergebnis, zustande gekommen aus Eigengeschmack des Salats sowie Menge und der Art der Zutaten, ist nie gleich, auch wenn man meint, alles so gemacht zu haben wie immer. 

Und, auch wenn es zunächst vielleicht sonderbar klingt: Was für Salatsauce gilt, gilt auch für das Fotografieren und Filmen. Jedenfalls dann, wenn vor und hinter der Kamera Menschen stehen. Denn auch wenn ich immer die gleichen Zutaten verwende und die Bedingungen so gut wie möglich kontrolliere, ist das Ergebnis nicht immer exakt gleich und vorhersehbar. Essig und Öl der Salatsauce sind wie Kameratechnik und Lichtführung in der Portraitfotografie: Der Koch (Fotograf) kann aus einem Salatkopf (Menschen) ganz unterschiedliche Gerichte (Bilder) zaubern. Er muss sich dazu lediglich über verschiedene Dinge im Klaren sein, die wenig mit Technik und viel mit Psychologie zu tun haben. Im Einzelnen sind das: Die Erwartungen des Fotografen und des Portraitierten, die Interaktion zwischen den beiden, der Kommunikationsstil des Fotografen, das Ambiente der Location und zu guter Letzt auch die Technik. In diesem Text will ich auf diese verschiedenen „Zutaten“ in Bezug auf die Portraitfotografie näher eingehen.

Portraitshooting mir Rembradtlicht

Erwartungen 

Das Fotoshooting hat immer ein Ziel: die Person vor der Kamera möchte ein „schönes“ Foto von sich, um es als Profilbild auf ihrer Webseite, im Geschäftsbericht, bei einer Partnerbörse oder via Social Media zu verwenden. Vielleicht will sie es aber auch einfach an Freunde und Verwandte verschenken oder als Erinnerung für sich selbst behalten, oder sie hat ein anderes ganz bestimmtes Ziel. Niemand lässt sich so ganz ohne Grund portraitieren. Und was jemand schön findet, ist noch dazu relativ. Daher nehme ich mir, wenn immer möglich, Zeit dafür, die Erwartungen zu klären. Das passiert idealerweise in einem Gespräch vor dem eigentlichen Shootingtermin.

Manchmal stellt sich dann heraus, dass meine Kunden gar keine genauen Vorstellungen von ihrem Wunschbild haben und sich von mir inspirieren lassen möchten. Ich zeige ihnen dann verschiedene Möglichkeiten und Wege anhand von konkreten Bildbeispielen auf, so dass sie sehen können, welche Körperhaltung, welche Kleidung, welches Accessoire, welche Lichtstimmung und welcher Hintergrund wie wirken kann. So erinnere ich mich ganz konkret an ein Gespräch über Pflanzen oder Blumen im Bild. Die Kundin liebte Blumen und hatte die Idee, das irgendwie im Bild mit ausdrücken zu wollen, zum Beispiel durch einen Strauß in der Hand oder eine Zimmerpflanze im Hintergrund. Wir haben uns auf die Suche gemacht nach Bildideen, bei denen das gut gelungen ist, haben aber nichts wirklich Überzeugendes gefunden. Meine Herangehensweise in der Portraitfotografie ist die, im Zweifelsfall lieber etwas wegzulassen als etwas hinzuzufügen. Ich mag die Reduktion, die Konzentration auf das Wesentliche. Solche Fotos haben meist eine Wirkung, die über den augenblicklichen Moment hinaus geht, zeitlos ist. Uns Beiden ist aufgefallen, dass ein Blumenstrauß in der Hand immer ein Anlass haben muss. Bei einem Hochzeitsbild macht es Sinn, wenn die Braut den Hochzeitsstrauß in der Hand hält. Bei einem Wettbewerb oder einem Jubiläum macht es Sinn, wenn die Person den Pokal oder den riesigen Strauß stolz präsentiert. Im Studio ohne Anlass macht es aber keinen Sinn, zumal Blumen immer nur in einer bestimmten Jahreszeit blühen und damit auch ein Jahreszeitenaspekt mit ins Bild bringt. Accessoires lenken oft zu sehr vom Gesicht ab und sind nur in ganzen bestimmten Fällen sinnvoll. Ich nehme grundsätzlich sehr gerne Vorschläge auf, die das Model mitbringt. Das können Fotos von früheren Shootings sein oder auch Bildbeispiele aus Zeitschriften oder dem Internet. Für mich ist es sehr vorteilhaft und angenehm, einen Ausgangspunkt zur Orientierung zu bekommen, um zu sehen, welche Vorstellungen und Ansprüche meine Kunden überhaupt haben. Beide Seiten sparen Zeit und Ärger, wenn sie gleich zu Beginn merken, wie weit die jeweiligen Vorstellungen auseinander liegen und ob genügend Vertrauen da ist, das Projekt zu starten.

Bei den Vorbereitungen zum Shooting ist es sehr wichtig, sich über die Aussage der Fotos im Klaren zu sein. Nichts Bestimmtes aussagen zu wollen ist einfach nicht möglich. Man kann nicht nicht kommunizieren.

Portraitshooting Schwarzweiss

Interaktion 

Für mich bedeutet Interaktion Führung: Ich gebe als Fotograf einen Rahmen zum Agieren, mache ein Angebot im Rahmen der besprochenen Aussage, die das Portrait haben soll. Dieses Angebot darf und soll die Person vor der Kamera interpretieren und weiterentwickeln. Sie soll damit spielen, davon abweichen und auch wieder zurückkehren. Manchmal verschieben sich dabei sicher geglaubte Grenzen, neue Möglichkeiten werden entdeckt. Auf beiden Seiten setzt die Offenheit, Neues ausprobieren zu wollen und bekannte Bahnen zu verlassen, eine gewisse Portion Mut voraus. Ich werfe niemanden ins kalte Wasser, sondern verschiebe mögliche Grenzen langsam und nie ohne Einverständnis. Alles kann, nichts muss. Manchmal entsteht ein Flow, von dem man sich mitziehen lässt, manchmal auch nicht. Zum Beispiel kann ein Stuhl oder Sessel ein sehr inspirierendes Requisit sein, je nach dem wie man ihn benutzt. Ganz konventionell, Lehne nach vorne, seitlich reingelegt, stehend oder auf dem Boden sitzend daran anlehnend, abstützenden und so weiter. In einen Mantel kann man sich einkuscheln, über die Schulter werfen, sich hinter dem Kragen verstecken oder ganz sinnlich ausziehen. Shooting mit Effizienz ist okay, wenn die Aufgabenstellung sehr klar umrissen und das Zeitkontingent eingeschränkt ist. Es ist aber nicht mein oberstes Ziel. Ich nehme mir die Zeit, die erforderlich ist, und ich empfehle dem Model dringend, mit ausreichendem Zeitpuffer und ohne Stress ins Shooting zu gehen. Im Idealfall ist unsere Interaktion dann spielerisch leicht und niemand verkrampft oder muss dem anderen etwas beweisen. Die Stimmung ist sofort vergiftet, wenn einer merkt, dass der andere bewusst oder unbewusst zu etwas gezwungen wird und gegen seine innere Stimme handelt.

Kommunikation Portraitfotografie

Kommunikationsstil

Mir ist es wichtig, der Person vor der Kamera mitzuteilen, was ich als Fotograf sehe, welcher Bildausschnitt, welches Detail für mich gerade wichtig ist und welches Gefühl ich dabei habe. Dadurch möchte ich die Person vor der Kamera in das Geschehen auch intellektuell mit einbeziehen. Das baut Vertrauen auf, ist wertschätzend und motivierend. Wenn irgend möglich, übertrage ich die Daten von der Kamera sofort auf den Computer, so dass wir zwischendurch gemeinsam die bisherigen Ergebnisse anschauen und weiter entwickeln können. Vier Augen sehen mehr als zwei, und wenn eine Visagistin dabei ist, hat sie wiederum noch einen anderen Blick auf die Aufnahmen. Das bringt nicht nur dem Fotografen eine gute Portion Sicherheit, ob der Weg der richtige ist. Durch das Mehraugenprinzip wird mir auch schneller klar, ob es sich lohnt, noch mehr Variationen zu fotografieren, oder ob das nicht nötig ist. 

Fotostudio Ambiente

Ambiente der Location

Die allgemeine Atmosphäre im Studio oder on Location schafft wichtige Rahmenbedingungen: Umkleidemöglichkeiten, Toiletten, Stühle, Kissen, Wärme, Kälte, Geruch, Musik, Lichtstimmung, Deko, Speisen und Getränke und sogar die Ausstrahlung der Technik ist wichtig. Gemeint ist damit nicht nur, ob der Zustand der Technik gepflegt oder verramscht aussieht, sondern welche Charakteristik sie hat. Kunstlicht, also Dauerlicht, wirkt wärmer, intimer, weniger technisch als das Blitzlicht, vor allem wenn die Generatoren piepsen nach dem Laden. Mit Blitzlicht entsteht mehr das Gefühl, Fotos zu „schießen“. Das gleiche gilt für das Auslösegeräusch des Fotoapparats. Mit spiegellosen Digitalkameras lässt sich komplett lautlos fotografieren, und das kann für Model und Fotograf eine ganz neue Erfahrung sein.

Grenzen & Portraitfotografie 

Meine Professionalität stößt an Grenzen, die dann erreicht sind, wenn Dinge außerhalb meiner Kontrolle liegen. Das können zum Beispiel die Wetterbedingungen oder Schwierigkeiten bei der Anreise meines Models sein. Auch persönliche Erlebnisse, die Einfluss auf das Wohlbefinden von Fotograf und Model haben, zählen dazu. Am wichtigsten aber ist die innere Einstellung. Wenn die Person vor der Kamera mit der Situation, mit sich selbst und ihrem Leben unzufrieden ist oder wenn sie ängstlich ist, wird sie das ausstrahlen, egal wie vorteilhaft die Rahmenbedingungen auch sein mögen. Das Äußere ist immer auch ein Teil des Inneren. Hautfalten, müde Augen oder hängende Mundwinkel lassen sich nicht mal eben schnell wegretuschieren. Natürlich tritt die fliehende Stirn oder eine große Nase in der Profilansicht stärker in Erscheinung als bei einer frontalen Ansicht. Hautfalten bekommen mehr Geltung bei seitlicher Lichtführung als bei weichem Licht direkt von vorne. Das Doppelkinn tritt etwas in den Hintergrund, wenn ich von einem leicht erhöhten Standpunkt aus fotografiere, aber es verschwindet nicht. Es ist immer die Summe der Details, die den Gesamteindruck ausmachen.

Bildbearbeitung Portrait in Lightroom

Technik

Gerade der Technik wird im Allgemeinen sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet – in den meisten Fällen zu viel. Technische Details fordern den Fotografen geradezu heraus, sie zu betrachten und vergleichen. So sind es dann Messergebnisse, also jede Menge nüchterne Zahlen und Fakten, die man so oder so betrachten kann. Das endet dann meist in einer eher philosophischen Auseinandersetzung, die ich hier aber nicht vertiefen möchte.

Kizomba Temple of Kiz

Tanzen & portraitfotografie

Genauso verhält es sich auch mit dem Tanzen und ganz speziell mit dem Salsa tanzen. Ich selbst bin schon seit einigen Jahren aktiver Tänzer und beobachte immer wieder, wie unterschiedlich das Produkt der Interaktion sein kann. Jeder Mann und jede Frau können die gleichen Figuren lernen, die Technik üben und Erfahrungen machen, aber das Ergebnis, also der Tanz, den sie zusammen tanzen, wird nicht immer gleich sein. Mal ist es die Musik, mal die eigene Stimmung oder die „Chemie“ zwischen den Tanzpartnern, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Es ist beim Salsa wie beim Fotografieren: Der gesamte Prozess zählt – also der Weg, und nicht nur das Ziel. Deshalb ist es beim Salsa tanzen wie auch beim Fotografieren wichtig, sich von der Idee zu lösen, ein bestimmtes Ergebnis liefern zu müssen. Tanzen wird dann schön, wenn kein konkretes Ergebnis erreicht werden muss – wenn es um die Freude geht, etwas Gemeinsames zu schaffen. Das ist genauso beim Fotografieren: Wenn die Person vor der Kamera sich davon befreien kann, gut aussehen zu müssen, und der Fotograf sich davon befreien kann, sofort das perfekte Bild machen zu müssen. 

Wie kann das gelingen? Es beginnt damit, dass beide ihre Erwartungen bewusst wahrnehmen und hinterfragen. Der Fotograf kann die Rahmenbedingungen dazu schaffen: Mit seinem Kommunikationsstil, seinen Interaktionen und dem Ambiente wie oben beschrieben. Dieses Spielerische ist beim Tanzen und beim Fotografieren wichtig. Ich kann als Tänzer dafür sorgen, dass die Tanzpartnerin sich wohlfühlt, nicht überfordert oder unterfordert ist und dabei auch noch gut aussieht. Da darf ich auch mal ein Späßchen machen, mal provozieren und an Grenzen stoßen, ohne sie zu überschreiten. Auch beim Fotografieren und Filmen bin ich mir bewusst, dass ich nicht alles kontrollieren kann und dass die Aufforderung „Jetzt bitte freundlich Lächeln“ nicht wirklich zielführend ist.

Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es auch einen wesentlichen Unterschied zwischen Tanz und Fotografie: Beim Fotografieren bekomme ich ein Honorar und beim Tanzen ein Lächeln – oder auch nicht. Die Fotos und Filme haben einen dauerhaften Wert, weil sie einen bestimmten Moment einfangen, dauerhaft in Erinnerung bleiben und mit anderen Personen geteilt werden können. Gerade der Aspekt des Teilens und Weitergebens ist ein besonderer Wert, wohingegen das Erlebnis des Tanzes immer flüchtig ist und auch nicht geteilt werden kann. Insofern ist ein Honorar fürs Fotografieren gerechtfertigt, und je mehr Wert die entstandenen Fotos haben oder je größer die Reichweite beim Teilen ist, desto höher darf auch das Honorar sein.

Wenn ich dann gesagt bekomme: „Du siehst aus, als hättest du Spaß bei deiner Arbeit“, dann ist das ein guter Ausgangspunkt, die bevorstehenden Herausforderungen zu meistern.

Fazit

Schlussendlich bedeutet das alles, dass das Ergebnis in der Portraitfotografie nie ganz genau vorhersehbar oder wiederholbar ist. Es ist das Ergebnis einer Interaktion zwischen Menschen zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort mit all den gegebenen Rahmenbedingungen. 

Das Verständnis des Tanzens hat meine Sicht aufs Fotografieren und Filmen beeinflusst, oder vielleicht auch umgekehrt. Und das Zubereiten von Salatsaucen in fremden Haushalten gehe ich deswegen auch ganz entspannt und ergebnisoffen an, was der Stimmung beim Essen auf jeden Fall zuträglich ist. Dass Salsa aus dem Spanischen übersetzt Soße heißt sei nur nebenbei erwähnt.