Ein Einblick in meine Arbeit: Von der ersten Anfrage bis zum fertigen Produkt
Im März 2020 müssen alle Kindergärten wegen der Corona Pandemie geschlossen bleiben.
Auch die üblichen Eltern-Infoabende können wegen der Kontaktbeschränkungen nicht mehr in gewohnter Form stattfinden. Gleichzeitig gibt es einen ungebrochenen Bedarf von Eltern, die einen Krippen- oder Kindergartenplatz suchen.
Julia, die Geschäftsführerin der Nezabudka Kindergärten in Frankfurt am Main, fragt mich, ob ich eine Idee hätte, wie man den Eltern die Räume im Internet zeigen kann.
Aus der Anfrage von Julia wird dann ein konkreter Auftrag. Zum Ende der Sommerferien soll die Produktion beginnen. Ich muss mir auf jeden Fall alle 4 Kitas vorher genau anschauen, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie viele Aufnahmen für einen Rundgang nötig sind und wo es Schwierigkeiten geben könnte – wegen des Lichts oder beengter Platzverhältnisse.
Wichtig ist auch zu wissen, was genau die Eltern interessiert und worüber bei einem Rundgang gesprochen wird.
Vorbereitungen
Die Räume werden auf jeden Fall ohne Kinder fotografiert, aber trotzdem soll es lebendig aussehen. Die Stühle dürfen auf keinen Fall auf den Tischen stehen, weil das nach Reinigungs-Modus aussieht und nicht einladend wirkt. In der Küche sollte kein benutztes Geschirr stehen, aber ganz clean wäre auch nicht gut. Ich stelle mir vor, dass vielleicht ein paar Gurken, Möhren und Tomaten auf einem Brett liegen, das Küchenmesser daneben. In den Essräumen sind die Tische schon gedeckt, so, als würden die Kinder gleich vom Spielplatz zum Mittagstisch stürmen.
Richtig spannend wird es, wenn jetzt noch Ton dazu kommt, das heißt, man sieht den Essraum und hört das Klappern von Besteck und Stimmen dazu, deutsche Stimmen und russische Stimmen, von Kindern und Erwachsenen. Dadurch wird das Raumerlebnis noch gesteigert, es entsteht echtes Kopfkino!
Mit dem Kindergarten stimme ich einen Termin ab. Samstage wären ideal, weil dann tagsüber kein Betrieb ist, aber alle Räume aufgeräumt sind. Das ist eine gute Voraussetzung, um gezielt Legos und Bauklötze auf dem Boden zu arrangieren.
360° Fotografie
Dann ist es endlich soweit und die 360° Aufnahmen für den virtuellen Rundgang können an einem Samstag im September beginnen. Die Wetterprognose sagt zumindest kein Regen voraus, denn sonst hätte ich den Termin verschoben. Ein nasser Spielplatz und verregnete Fenster wirken nicht einladend auf einem Bild.
Das Team im Kindergarten hat alles top vorbereitet. Ich kümmere mich noch darum, dass Jalousien und Vorhänge gleichmäßig aussehen und überall das Licht brennt, auch wenn es draußen taghell ist. Mit Licht bekommen die Räume mehr Atmosphäre und die Helligkeitskontraste werden etwas gemindert. Einen Raum gezielt auszuleuchten kommt nicht in Frage, weil bei einer uneingeschränkten Rundumsicht die Lampen und Stative zu sehen wären. Weil es ein paar defekte Glühbirnen gibt, „leihe“ ich mir welche vom Nachbarraum. Zum Glück deponieren Eltern Regenjacken und Wechselkleidung im Kindergarten. Daran habe ich bei den Vorbereitungen nicht gedacht, dass eine verwaiste Garderobe mit leeren Kleiderhaken und leeren Schuhschränke im Bild nicht gut aussehen würde.
Bildbearbeitung und Erstellung der Navigation
Die Nachbearbeitung der Fotos dauert dann doch länger als gedacht, vor allem die Abstimmung der Farben und der Helligkeit der Fotos untereinander. Das Kamerastativ aus allen Aufnahmen zu retuschieren ist mein persönlicher Anspruch, wenngleich ich nicht damit rechne, dass ein Betrachter tatsächlich senkrecht nach unten schauen würde.
Der Aufwand hat sich gelohnt und die erste Version des virtuellen Rundgangs ist fertig.
„Echt mega“ ist Julias Kommentar. Das Ergebnis übertrifft ihre Erwartungen und ich bin natürlich überglücklich. Ich finde das Bildergebnis auch gelungen, zweifele aber noch, ob die Orientierung im Raum optimal gelöst ist. Die Freiheit, sich überall im Raum umsehen zu können, ist zwar toll, aber gleichzeitig kann sie auch überfordern, wenn es zu viel zu entdecken gibt. Julia kennt die Räume, aber ob ein Fremder nicht schnell die Orientierung verliert?
Ich schicke einen Link zur Tour an meinen Sohn. Er kennt die Räume nicht und auf der Suche nach einem Krippenplatz ist er auch nicht, somit hat er genügend Abstand zur Materie.
Ihm fällt auf, dass die Orientierung im langen Gang schwierig ist, weil Anfang und Ende nahezu gleich aussehen.
Seinen Einwand kann ich nachvollziehen. Um das Problem zu lösen, reduziere ich die Navigationsmöglichkeiten im Flur und mache weniger, aber konkretere Navigationsangebote. Das entspricht eher der Führung durch die Räume.
Original-Geräusche
Im nächsten Schritt geht es um den Ton, damit die Bilder noch lebendiger werden. Mit Kopfhörern fürs Smartphone, in die Mikrofone eingebaut sind, kann ich Stimmen und Geräusche einfangen, ohne dass man mir ansieht, dass ich Tonaufnahmen mache. Ich wirke so, als würde ich Musik vom Smartphone hören, also in mich gekehrt und nicht dem Umfeld zugewandt. Das hilft mir, unbemerkt zu authentischen Aufnahmen zu kommen.
Mein Ziel ist es, für jeden Hotspot im Bild eine Hintergrund-Geräuschkulisse zu bekommen, die ca. 30 Sekunden lang ist und in einer Dauerschleife laufen kann. Das ist ziemlich zeitaufwändig, aber die Mühe lohnt sich.
Facebook Kampagne
Um die Präsentation mit einem gewissen Peng auf Facebook und per Mail anzukündigen fehlt noch ein kurzer Promotiontrailer. Weil die virtuelle Tour durch die Räume nicht nur für Eltern, sondern auch für zukünftige Mitarbeiter interessant ist, soll der Schwerpunkt des Trailers darauf liegen, Nezabudka als zukünftigen Arbeitgeber zu entdecken.
Damit das pädagogische Konzept der Kindergärten nicht zu kurz kommt, erstelle ich als letzten Schritt noch die Texte für die einzelnen Räume. Die Eltern oder auch zukünftige Mitarbeiter:innen sollen nicht nur einen erstklassigen Raumeindruck bekommen, sondern auch Antworten auf die drängendsten Fragen finden. In den gesprochenen Texten geht es um die Eingewöhnungsphase, was die Vorschulgruppe macht, wie die Pikler-Pädagogik umgesetzt wird oder wie der typische Speiseplan aussieht.