Food-Fotografie mit Strategie. Wie das Bildkonzept für eine Pizzeria entstanden ist.
Die Ausgangslage ist gar nicht so ungewöhnlich. Fast alles ist noch Baustelle, denn die Pizzeria ist gerade neu gegründet worden. Wenn ich das Geschäft betrete, sehe ich einen Tresen und reichlich Platz für einen Pizzaofen mit allem, was zum Zubereiten der Speisen sonst noch gebraucht wird. Der Inhaber erklärt mir, dass 90 Prozent des Umsatzes über Lieferando gemacht werden und der Gästeraum eher als Aufenthaltsraum für die Fahrer gedacht ist.
Er hatte gerade die Spielautomaten entfernt, die vor dem Fenster standen. Die werden jetzt nicht mehr gebraucht und das Geschäft wirkt auch von außen schon einladender als vorher.
Auf der Webseite sehe ich ein Logo und die italienischen Farben, sowie eine lange Liste für Pizza, Pasta, Salate, Dessert und Getränke. Es gibt kein einziges Foto, Baustelle eben.
Hier gibt es also gründlichen Nachholbedarf für ziemlich alles, was das visuelle Erscheinungsbild angeht. Als Fotograf soll ich mich „nur“ um Fotos für die Speisekarte auf der Webseite kümmern. Dass die Karte irgendwann neu gestaltet werden wird ist klar, darauf warten soll ich aber nicht. Bevor es ans Fotografieren geht muss ich zwingend ein Bildkonzept entwickeln, um mit dem Betreiber abzustimmen, welche Art von Fotos am besten zur Pizzeria passen. Aus dem grundlegenden Konzept leite ich eine Bildsprache für die vier Produktbereiche ab, die zur Positionierung passen.
Darum ist ein Bildkonzept so wichtig:
- Es sichert einen starken visuellen Auftritt mit Wiedererkennungswert
- Es ist wichtig für den Markenaufbau
- Der Gesamteindruck der Webseite wirkt professioneller und vertrauenswürdiger
- Das Konzept definiert den Rahmen der Möglichkeiten und bietet Planungssicherheit
- Aus dem Konzept leitet sich der Bildstil ab
- Das Konzept ist eine wichtige Kalkulationsgrundlage fürs Angebot
- Planungssicherheit bedeutet auch eine effiziente Nutzung aller Ressourcen
- Unstimmigkeiten, Zeit- und Kostenverschwendung werden vermieden
Das wichtigste Ziel fürs Fotoshooting: Die Fotos müssen die Gerichte verkaufen können, d.h. Appetit machen und den gehobenen Preis rechtfertigen.
Die Rahmenbedingungen
- Das Shooting muss in der Pizzeria vor Ort stattfinden
- Ich muss mit dem vorhandenen Platz auskommen
- Es sollen nur Original-Zutaten in der richtigen Art und Menge verwendet werden, damit es hinterher keine Reklamationen gibt. Keine geschönten Fake-Fotos!
- Unterscheidung in 4 Produktkategorien (Pizza, Pasta, Salat, Dessert)
- Für zukünftige Anwendungen im Web, Flyer, Speisekarte etc. müssen die Fotos variable Bildausschnitte zulassen
- Lage, Ambiente und Räumlichkeiten der Pizzeria sind unwesentlich fürs Bild, denn die Gerichte werden von den Kunden per Lieferservice bestellt
Die Positionierung
- gehobenes Preissegment
- traditionelle Zubereitung
- frisch & authentisch
- Vertrautheit
- Wohlfühlstimmung
- sich etwas Gutes leisten wollen
Die Zielgruppe
- Einwohner im Umkreis von ca. 10km vom Standort
- Familien mit Kindern, junge Paare, Single
- gutbürgerlich
Die Bildsprache entwickelt sich aus dem Konzept
Wenn Positionierung, Zielgruppe, Unternehmensziele und -werte, Zeitvorgaben, Budget und die allgemeinen Rahmenbedingungen feststehen, kann ein Bildkonzept entwickelt werden. Die folgenden Parameter sind wichtige Bestandteile für ein Bildkonzept.
Die Tonalität
Wichtig war mir, keine einfachen Produktaufnahmen zu machen, sondern den Gerichten ein charakteristisches Ambiente zu geben, um sich schon bei der Bestellung besser in die Stimmung des Verzehrs hineinfühlen zu können. Die Gerichte erfüllen unterschiedliche Bedürfnisse.
- Pizza = schwer, heiß, derb, kraftvoll
- Salat = leicht, gesund, frisch
- Pasta = leicht, luxuriös, mediterran, hell
- Dessert = zart, süß, italienisch, verführerisch
Farbe, Helligkeit und Kontrast
- Pizza: natürliche Farben, knusprig, warm, hoher Kontrast, dunkler Untergrund
- Pasta: natürliche Farben, frisch, hell, wenig Kontrast, weißer Untergrund
- Salat: natürliche Farben, frisch, glänzend, normaler Kontrast, heller Untergrund
- Dessert: matte Farben, hell, Ton in Ton, wenig Kontrast, leicht warmer Untergrund
Die Bildelemente
- Gericht
- Teller, Besteck, Serviette, Glas/Tasse
- Zutaten
- Untergrund
Perspektive und Ordnung
- Vertrauter Blick der Kamera leicht von oben aus Augenhöhe: zum Reinbeißen
- Dynamische Dreieck-Anordnung: links oben eine frische Zutat, rechts weitere Zutaten und/oder ein Getränk und Mitten im Bild das Hauptmotiv
Bildausschnitt
- Das Gericht selbst ist unbeschnitten
- Übergang vorne und Hinten in Unschärfe
- Nur Untergrund (Holz, Tischdecke), kein extra Hintergrund
- gute Auflösungsreserven für Bildausschnitte
Schärfe und Unschärfe
Der Schärfenbereich erstreckt sich übers Gericht und betont somit das Wesentliche. Die Zutaten und Gläser im Hintergrund sind leicht unscharf. Diese Gestaltung verleiht dem Essen Tiefe.
Das Licht
Eine Lichtquelle mit weichem Licht schräg von hinten links, um die Speisen knackig und frisch wirken zulassen. Dazu ein oder zwei weiße Aufheller, um die Helligkeit gleichmäßiger zu verteilen.
Zusammenfassung
Die Bildsprache hat eine klare Linie in der Aussage, um eine spezielle Stimmung zu erzeugen und damit eine kleine Geschichte zu erzählen. Der Eindruck einer reinen Produktabbildung wird damit vermieden.
Wenn es noch keine Bildidee oder kein Bildkonzept vor Beginn des Produktion gibt ist es wichtig eins zu erstellen, um im Budgetrahmen und Zeitrahmen zu bleiben. Das ist sowohl für den Kunden, den Fotografen und alle anderen am Geschehen Beteiligten wichtig, um vorhersehbare Ergebnisse zu erzielen.
Jedes Foto kann für sich wirken. Auf der Webseite oder in einem Flyer wirken die Fotos als Serie wie aus einem Guss.
Das Foto-Setup lässt sich für zukünftige Aufnahmen leicht einrichten, weil alle Aufnahmen unter kontrollierten Lichtbedingungen gemacht wurden.
Food-Aufnahmen mit senkrechtem Blick von oben sind seit einiger Zeit sehr verbreitet und wegen des ungewöhnlichen Blickwinkels auch aufmerksamkeitsstark. Diese Perspektive betont vor allem die Form oder auch die Farbigkeit vom Essen. Das ist nicht für alle Gerichte vorteilhaft. Um einen Bildsalat zu vermeiden, habe ich auf diese Perspektive verzichtet.